Zu den Spezialitäten der Appenzellermusik gehören bestimmte Instrumente, Tänze, Gesänge und Eigenarten der Spielpraxis.
1. Instrumente
- Talerschwingen: Ein Taler (heute Fünfliber) wird auf der Schmalkante in ein Becken, das aus gebranntem Ton gefertigt ist, zum Rundlauf eingeworfen und dann mit leichten Bewegungen „geschwungen“. Dadurch ergibt sich mit drei auf einander abgestimmten Talerbecken ein bordunähnlicher Klang, welcher als Untermalung zum Naturjodel (Rugguusseli/Zäuerli) benützt wird. Neuerdings kann man sich eine Talerschwing-App herunterladen und sich in dieser Disziplin üben >>. Hier auch noch eine ausführliche Dokumentation zum Talerschwingen >>.
- Schölleschötte: Eine ähnliche Funktion wie das Talerschwingen erfüllen drei grosse Schellen (Treicheln), deren Klang in einem bestimmten Rhythmus einen Bordun ergeben. Dazu werden ebenfalls Rugguusseli und Zäuerli gesungen. Die Schellen sind entweder „weit“ gestimmt, z.B. auf E-G-A oder „eng“, z.B. auf D-E-Fis. Normalerweise trägt ein Senn/Sänger die eine Schelle, ein zweiter die beiden anderen. Auf dieser historischen Aufnahme schafft es ein einziger „Schölleschötter“ gleichzeitig mit allen drei Schellen.
- Hackbrett: Das am meisten bestaunte Instrument der Appenzellermusik ist das Hackbrett. Auf einen trapezförmigen Boden mit Stemmleisten ist ein Rahmen mit Stöcken und Zargen geschraubt, darüber eine Decke mit Schalllöchern angebracht. Saiten (Töne meist 5-fach geführt) werden durch einen Zwischensteg geteilt, sodass pro Saite zwei verschiedene Töne möglich sind. Ein heutiges Hackbrett ist ein richtiges High-tech-Produkt, hinter welchem viel Wissen und Erfahrung steckt. 2013 ist im Roothuus-Verlag das Heft "Das Hackbrett – 30 Stimmungen, Herkunft und Entwicklung" von Emanuel Krucker erschienen >>. Hackbrettbauer im Appenzellerland: Werner Alder >> Johannes Fuchs >> Hackbrettbau Anderscht >>
- Alphorn: Verschiedene Quellen weisen darauf hin, dass das Alphorn im Appenzellerland, besonders in den Bergen, schon früh heimisch war. Im 18. und 19. Jh. verschwand es aber fast ganz und erlebte dann seine Renaissance erst wieder zu Beginn des 20. Jh. Eine dem Alphorn zukommende Eigentümlichkeit ist das so genannte „Alphorn-Fa“, das sich sogar in die Singweise des Appenzeller Naturjodels übertragen hat.
- Älteste historische Zeugnisse nach Instrument aufgelistet: In diesem Verzeichnis finden Sie die ältesten historischen Quellen für Volksmusikinstrumente im Appenzellerland und Toggenburg. Besten Dank an Urs Klauser, Bühler, für diese immense Arbeit. Auf seiner Website >> finden Sie weitere historischen Informationen und Tonbeispiele. Also wann etwa wurde die Drehleier zum ersten Mal erwähnt? 1612 im Toggenburg .... >>
2. Gesang
- Ratzliedli: Sie stellen eine besondere Singkultur im Appenzellerland dar. Dabei handelt es sich um Spoot- und Necklieder, welche im übrigen Alpenraum bekannt sind als Gstanzln oder Schnaderhüpfl. Das Zentrum für Appenzellische Volksmusik hat im Jahre 2003 ein grosses Feldforschungsprojekt gestartet, um diese Singkultur in Text und Melodie zu dokumentieren und festzuhalten. Seit 1. Dezember 2007 liegen die Forschungsergebnisse in Buchform vor >>
„Rulla, di rulla“ ist eine der Standardmelodien, dazu „e paa Möschteli“
Ond brandschwazes Hoor, seb het miini Frau;
ond brandschwaz aagloge, seb hets mi graad au!
De Pfare het predeged: s Stehle sei Sönd.
Abe phaalte, seb tööme, wa me zuefällig fönd.
E Frau ohni Maa tuet zitwis fantäschtig;
en Maa ohni Frau hets all eebe loschtig!
Meedli, dii wetti, gsiehscht eebe guet uus!
Hescht Göld – e-n-Ooschwetti – ond Holz vorem Huus.
Di Aalt, die tuet rauche, ond d Meedl, die kifft;
der Aalt ond de Bueb, die suuffid halt s Gift.
nebes nüd vestande? Hilfe finden sie im Buch "Innerrhoder Dialekt" von Joe Manser >> - Kuhreien: In früheren Zeiten war der Kuhreihen – ein Konstrukt aus Lockrufen, Jodelmelodien, Textstrophen und tanzmusikalischen Elementen – ein beliebter „Gesang“, vielmehr als nur ein „Eintreibelied“. Maria Josepha Barbara Brogerin übermittelt als letzten Liedeintrag in ihrem Liederbüchlein von 1730 den ältesten textierten Appenzeller Kuhreihen. Bereits nach 1800 kannte man diesen Gesang nur noch spärlich; eine kleine Wiederbelebung erfolgte durch den „komponierten“ Kühreihen von Joh. Heinrich Tobler (1777–1838) mit dem Titel „Appezeller Sennelied“; dieser war dann bis in die zweite Hälfte des 20. Jh. vereinzelt immer wieder zu hören. Heute wird der Kuhreihen (bzw. eine Kurzversion davon) nur noch im Rahmen der Konzertprogramme zum oben erwähnten Liederbüchlein gesungen.
- Alpsegen – Betruf: Gemäss Angaben im „Heemetklang us Innerrhode“ wurde eine Art Alpsegen/Abendgebet in den Alpweiden des Alpsteins schon seit dem frühen 17. Jh. gerufen. Die Quellen sind sehr spärlich. Die verschiedenen Varianten, welche im 19. und zu Beginn des 20. Jh. gerufen wurden, haben stark auswärtige Einflüsse. Auch der aktuelle Innerrhoder Betruf, (Fassung 1948 von P. Ekkehard Högger und P. Erich Eberle) enthält Melodie- und Textelemente, wie sie auch in anderen Gegenden ähnlich sind.
Innerrhoder Betruf pdf >>
Forschungsarbeit Joe Manser "Der Betruf im Alpstein" >> - Volkstümliche Messgesänge – Jodelmessen: Schon vor etlichen Jahren wurden zu Trauergottesdiensten, in Alpkapellen und bei Hochzeitsmessen Rugguusseli und Zäuerli gesungen, und dabei spürte man, wie würdig und einfühlsam sich die langsamen Jodelmelodien ins Messgeschehen einfügten. So lag es auf der Hand, diese Formen auszuweiten; dabei entstanden auch im Appenzellerland und Toggenburg mehrere Jodelmessen. Die St. Martinsmesse, geschrieben 1993 von Josef Dobler, Hornsepp, ist sogar eine kleine Orchestermesse (Instrumente der Appenzellerstreichmusik).
3. Eigenarten der Spielpraxis
- Ausgang: Es ist eine typische Eigenart in der Appenzellermusik, dass ein Tanzstück nicht „einfach“ aufhört, sondern dass ihm an bestimmter Stelle eine Schlusssequenz angehängt wird. Diesen Schluss nennt man in der Appenzellermusik „Uusgang“ (Ausgang). Diese Spezialität kennt man in der volkstümlichen Musik der übrigen Schweiz nicht, ähnliche Varianten hingegen in einigen Regionen des alpenländischen Raumes. In alten Notenhandschriften findet man zu diesem Ausdruck noch die Parallele „Eingang“ anstelle der heutigen Einleitung, oder moderner gesprochen „Intro“.
Typischer Walzer-Ausgang (A-Dur), wie ihn Anton Moser, Josef Peterer sen. „Gehrseff“ und Jakob Neff „Dävi“ spielten: - Hackbrettsolo: Da das Hackbrett das am meisten bestaunte Instrument der Appenzellermusik ist, hat man es seit jeher auch entsprechend hervorgehoben. Schon immer wurden darauf Solostücke gespielt, und es wurden für dieses Instrument auch ganze Werke geschrieben. Anspruchsvolle Fantasien (Appenzellermusik) stammen von Josef Peterer sen. und jun., geschrieben für Hackbrett sowie für Cimbal. Auch in die Orchesterwelt hat das Hackbrett Eingang gefunden, genannt sei hier z.B. Paul Huber (1918–2001): Konzert für Hackbrett und Streichorchester (1994).
4. Tänze und Titelgebung
Es ist typisch für die Appenzellermusik, dass die meisten Tanzmusikstücke keine Titel tragen. Das erforderte früher auch einiges Geschick, sich an die vielen Tänze zu erinnern und sie „abrufen“ zu können. Schon alte Streichmusikanten bedienten sich darum eines Spickzettels. Heute, besonders auch bei der Platten-/CD-Produktion, kommt man um Titel nicht herum. So werden dann den ehemals anonymen Stücken Namen gegeben, und der Varianten sind viele. So erscheint z.B. der ehemals titellose Walzer von A. Moser auf der ersten Schellackplatte mit Appenzellermusik (1910) mit „Appenzellerweisen“, später erhält der Walzer die Titel „grüne Wiesen“, „Trogener Chilbileben“, „Moggewalser“.
Nur wenige Tänze waren seit jeher mit einem Titel bezeichnet, und meist handelt es sich dabei um Stücke, die speziell getanzt wurden: „De Hierig, s Mölirad, de Cheerab, de Schicktanz, de Balbiertanz, de Bruudtanz“ und verschiedene Tänze, die heute in Volkstanzgruppen zum Zug kommen, wie z.B. „de Luutebacher“. Einigen Tanzstücken wurden auch Texte beigegeben, und diese führten dann zum Titel:
Hau de Chatz de Schwanz ab …
Me söttid goh …
Etz hani mi Schätzli scho lang nomme gseh …
Kauer Chölbi …
Eine Zusammenstellung dieser „gesungenen Tänze“ bzw. Tanzlieder ist zu finden im Anhang zur Feldforschungsdokumentation „Ratzliedli“ (2007).