Stiftung Zentrum für Appenzellische Volksmusik
Appenzellermusik
Die Appenzellermusik ist mit Sicherheit die bekannteste Volksmusik der Schweiz. Sie wird instrumental und vokal ausgeführt; beide Richtungen basieren auf alten Traditionen.

1. Streichmusik

Diese Form – in erster Linie für Tanzanlässe, heute oft auch konzertant gespielt – hat die volkstümliche Musik des Appenzellerlandes geprägt und weit über die Kantonsgrenzen hinaus bekannt gemacht. Bereits 1570 werden Saiteninstrumente genannt, mit denen zum Tanz aufgespielt wurde; es darf angenommen werden, dass damals schon neben der Geige bereits auch das Hackbrett zum Einsatz kam.

Die bekannteste Darstellung einer Zweierformation ist die „Alpstubete auf Soll, Gemälde v. Emil Rittmeyer, 1865“.

Um etwa 1800 dürfte aber bereits die Dreierformation mit Geige, Hackbrett und Bass/Bassett üblich gewesen sein. Heute noch wird eine Besetzung mit diesen drei Instrumenten bezeichnet mit „altfrentsch uufgmacht“ (auf alte Art und Weise gespielt). Nach 1860 werden oft Auftritte des Quartetts Appenzell erwähnt, ab etwa 1895 bildete sich die Quintettformation, seither bezeichnet als „Original Appenzeller Streichmusik“ in der Besetzung mit zwei Geigen, Hackbrett, Cello und Streichbass.


Streichmusik Geschwister Küng, Appenzell (2006). Diese „Originalbesetzung“ spielt vor allem konzertant auf (Geigen: Mirena und Clarigna; Bass; Madlaina; Cello: Laraina; Hackbrett: Roland Küng)

Das Aufspielen mit der Handorgel ist im Appenzellerland bereits seit etwa 1850 belegt. Später kam auch das Schwyzerörgeli dazu, welches auch heute noch bei vielen – besonders Jungmusikanten – beliebt ist. Der Einbezug des Klaviers als Begleitinstrument war und ist immer dann aktuell, wenn dieses Instrument in Tanzsälen und Wirtschaften zur Verfügung steht. Wenige Belege sind vorhanden, dass auch die Gitarre als Begleitinstrument in der Tanzmusik eingesetzt wurde; hingegen zur Liedbegleitung war sie, wie auch die Akkordzither, im 19. Jh. und bis etwa 1920 recht verbreitet.

2. Blasmusik – Stegräf

Seit etwa 1900 werden Tanzmusikstücke und Rugguusseli auch von Blasmusikformationen gespielt. Die Stücke sind nicht ausgeschrieben, darum wird die Spielpraxis „stegräfle“ genannt. Der echte „Stegräf“ zeigt sich darin, dass nur die Melodie vorgegeben ist, alle Begleitstimmen werden nach Gehör und Gefühl gespielt. Innerhalb der Musikgesellschaft Harmonie Appenzell besteht seit den 50er Jahren eine Stegreifgruppe – im Stegreif gespielt wurden aber Appenzellerstücke schon ein halbes Jahrhundert zuvor.

Johann Manser-Gmünder (1917–1985), Autor des Buches „Heemetklang us Innerrhode“ und Melodieführer in der Steigreifgruppe der Musikgesellschaft Harmonie Appenzell während Jahrzehnten.

Im Jahre 2008 wurde sein gesamter musikalischer Nachlass dem Zentrum für Appenzellische Volksmusik geschenkt (Notenmaterial, Bildersammlung, Tonaufnahmen aus Feldforschung 1958-1980, Instrumente, Schellacks, Dokumente zur Vokal- und Instrumentalmusik des Appenzellerlandes).

MG Haslen, MG Gonten und weitere Musikgesellschaften übernahmen den Stegreif erst etwa in den 70er und 80er Jahren. Die Stegreifgruppe der Harmonie Appenzell darf unbedingt für sich in Anspruch nehmen, als erste diese neue Stil- und Musikrichtung entwickelt und populär gemacht zu haben. Ihre Spielart unterscheidet sich klar von jener der Blasmusikkapellen (die normalerweise nach Noten spielen) oder der sogenannten „Bauernkapellen“.

3. Vokal

Bis vor kurzem war über die Singkultur vor 1800 im Appenzellerland sehr wenig bekannt. Neueste Forschungsergebnisse in Zusammenhang mit der Transkription/Publikation einer Liederhandschrift „Liederbüchlein der Maria Josepha Barbara Brogerin“ , Appenzell 1730, brachten neues Licht in diese Zeit. Dieses Liederbüchlein enthält Lieder zu den verschiedensten Bereichen: weltliche und religiöse Lieder, Jagd-, Trink- und Spottlieder, Totentanz, und die älteste textierte Fassung des Appenzeller Kuhreihens.

Im Oktober 2004 kam der musikalische Nachlass der Gontnersängerinnen, „Böhlmeedle“, zum Vorschein. Diese Gesangsgruppe hatte ihren Höhepunkt Mitte des 19. Jahrhunderts. Damit ist erwiesen, dass damals nicht nur in Appenzell Ausserrhoden das Volks- und Chorlied gepflegt wurde, sondern auch in Innerrhoden. In den Bereichen Chor und Gesang des 19. Jh. nimmt aber Ausserrhoden eindeutig die Führerrolle ein.
Neben altem und neuem Liedgut wird heute im Appenzellerland besonders auch der Naturjodel gepflegt, in Innerrhoden „Rugguusseli“, in Ausserrhoden „Zäuerli“ genannt. Eine Gruppe von Sängerinnen oder Sängern „tuet graadhäbe“ zur Solo-Melodie- oder Jodelstimme. Besonders in Jodelchören, die regelmässig ihre Proben abhalten, wird der Naturjodel geübt und bis zur Konzertreife ausgefeilt.


Engelchörli Appenzell

Weitere Informationen zur Appenzellermusik: s. Literatur

Stiftung Zentrum für Appenzellische Volksmusik, Roothuus, CH-9108 Gonten [email protected]