StiftungZentrum für Appenzellische Volksmusik
Um etwa 1800 dürfte aber bereits die Dreierformation mit Geige, Hackbrett
und Bass/Bassett üblich gewesen sein. Heute noch wird eine Besetzung mit
diesen drei Instrumenten bezeichnet mit „altfrentsch uufgmacht“
(auf alte Art und Weise gespielt). Nach 1860 werden oft Auftritte des Quartetts
Appenzell erwähnt, ab etwa 1895 bildete sich die Quintettformation, seither
bezeichnet als „Original Appenzeller Streichmusik“ in der Besetzung
mit zwei Geigen, Hackbrett, Cello und Streichbass.
Streichmusik Geschwister Küng, Appenzell (2006). Diese „Originalbesetzung“
spielt vor allem konzertant auf (Geigen: Mirena und Clarigna; Bass; Madlaina;
Cello: Laraina; Hackbrett: Roland Küng)
Das Aufspielen mit der Handorgel ist im Appenzellerland bereits seit etwa 1850 belegt. Später kam auch das Schwyzerörgeli dazu, welches auch heute noch bei vielen – besonders Jungmusikanten – beliebt ist. Der Einbezug des Klaviers als Begleitinstrument war und ist immer dann aktuell, wenn dieses Instrument in Tanzsälen und Wirtschaften zur Verfügung steht. Wenige Belege sind vorhanden, dass auch die Gitarre als Begleitinstrument in der Tanzmusik eingesetzt wurde; hingegen zur Liedbegleitung war sie, wie auch die Akkordzither, im 19. Jh. und bis etwa 1920 recht verbreitet.
Seit etwa 1900 werden Tanzmusikstücke und Rugguusseli auch von Blasmusikformationen
gespielt. Die Stücke sind nicht ausgeschrieben, darum wird die Spielpraxis
„stegräfle“ genannt. Der echte „Stegräf“ zeigt
sich darin, dass nur die Melodie vorgegeben ist, alle Begleitstimmen werden
nach Gehör und Gefühl gespielt. Innerhalb der Musikgesellschaft Harmonie
Appenzell besteht seit den 50er Jahren eine Stegreifgruppe – im Stegreif
gespielt wurden aber Appenzellerstücke schon ein halbes Jahrhundert zuvor.
Johann Manser-Gmünder (1917–1985), Autor des Buches „Heemetklang
us Innerrhode“ und Melodieführer in der Steigreifgruppe der Musikgesellschaft
Harmonie Appenzell während Jahrzehnten.
Im Jahre 2008 wurde sein gesamter musikalischer Nachlass dem Zentrum für Appenzellische Volksmusik geschenkt (Notenmaterial, Bildersammlung, Tonaufnahmen aus Feldforschung 1958-1980, Instrumente, Schellacks, Dokumente zur Vokal- und Instrumentalmusik des Appenzellerlandes).
MG Haslen, MG Gonten und weitere Musikgesellschaften übernahmen den Stegreif erst etwa in den 70er und 80er Jahren. Die Stegreifgruppe der Harmonie Appenzell darf unbedingt für sich in Anspruch nehmen, als erste diese neue Stil- und Musikrichtung entwickelt und populär gemacht zu haben. Ihre Spielart unterscheidet sich klar von jener der Blasmusikkapellen (die normalerweise nach Noten spielen) oder der sogenannten „Bauernkapellen“.
Bis vor kurzem war über die Singkultur vor 1800 im Appenzellerland sehr wenig bekannt. Neueste Forschungsergebnisse in Zusammenhang mit der Transkription/Publikation einer Liederhandschrift „Liederbüchlein der Maria Josepha Barbara Brogerin“ , Appenzell 1730, brachten neues Licht in diese Zeit. Dieses Liederbüchlein enthält Lieder zu den verschiedensten Bereichen: weltliche und religiöse Lieder, Jagd-, Trink- und Spottlieder, Totentanz, und die älteste textierte Fassung des Appenzeller Kuhreihens.
Im Oktober 2004 kam der musikalische Nachlass der Gontnersängerinnen,
„Böhlmeedle“, zum Vorschein. Diese Gesangsgruppe hatte ihren
Höhepunkt Mitte des 19. Jahrhunderts. Damit ist erwiesen, dass damals nicht
nur in Appenzell Ausserrhoden das Volks- und Chorlied gepflegt wurde, sondern
auch in Innerrhoden. In den Bereichen Chor und Gesang des 19. Jh. nimmt aber
Ausserrhoden eindeutig die Führerrolle ein.
Neben altem und neuem Liedgut wird heute im Appenzellerland besonders auch der
Naturjodel gepflegt, in Innerrhoden „Rugguusseli“, in Ausserrhoden
„Zäuerli“ genannt. Eine Gruppe von Sängerinnen oder Sängern
„tuet graadhäbe“ zur Solo-Melodie- oder Jodelstimme. Besonders
in Jodelchören, die regelmässig ihre Proben abhalten, wird der Naturjodel
geübt und bis zur Konzertreife ausgefeilt.
Engelchörli Appenzell
Weitere Informationen zur Appenzellermusik: s. Literatur